Das UROP-Projekt 188: „Ihre Erinnerung ist Ihre Wahrheit“ an der RWTH Aachen
Peter M. Quadflieg und Anna Hissel
Projektskizze
Veröffentlicht am: 
18. September 2012

 

Seit 2008 bietet die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen im Zuge der Exzellenzinitiative das Undergraduate Research Opportunities Program (UROP) an. Studierenden wird dadurch die Möglichkeit gegeben, bereits während ihres Studiums Einblicke in die Forschungspraxis der von ihnen studierten Disziplinen zu erhalten (Nähere Informationen unter www.rwth-aachen.de/urop).

In diesem Rahmen initiierten Peter M. Quadflieg und Dr. René Rohrkamp vom Lehr-und Forschungsgebiet Wirtschafts- und Sozialgeschichte der RWTH (Univ. Prof. Dr. phil. Paul Thomes) zum Sommersemester 2009 das UROP-Projekt 188: „Ihre Erinnerung ist Ihre Wahrheit“ – Möglichkeiten und Grenzen biografischer Quellen in der Wirtschafts- und Sozialgeschichtsschreibung. Vier Bachelorstudenten wurde so die Möglichkeit gegeben, wissenschaftliche Methoden biografischer Zugänge in der Geschichtswissenschaft über die curricular vorgeschriebenen Lehrveranstaltungen hinaus kennenzulernen und ersten eigenen Forschungsansätzen zu folgen. Als Partner konnte die Konejungstiftung: Kultur (www.konejung-stiftung.de) gewonnen werden, die das Projekt großzügig unterstützte.

Bei dem von der Projektgruppe gewählten Untersuchungsgegenstand handelte es sich um ein militärhistorisches Thema im sozialgeschichtlichen Kontext, das sogenannte Massaker von Malmedy. Unter diesem Namen hat die Ermordung von 81 US-amerikanischen Kriegsgefangenen während der Ardennen-Offensive am 17. Dezember 1944 in Baugnez, unweit des belgischen Ortes Malmedy, traurige Berühmtheit erlangt. Diese Erschießungen durch Angehörige einer Kampfgruppe der 1. SS-Panzer-Division unter Führung von Joachim Peiper stellen einen der schwerwiegendsten Verstöße gegen das Kriegsrecht an der Westfront während des Zweiten Weltkriegs dar und finden vielfach Erwähnung in populärwissenschaftlicher Literatur und in Publikationen zur Ardennen-Offensive bzw. zur letzten Kriegsphase des Zweiten Weltkriegs. Bezüglich der Rekonstruktion der Ereignisse an der Kreuzung von Baugnez liegen zahlreiche Versionen vor, die sich vor allem mit der Frage nach der persönlichen Verantwortung der beteiligten SS-Führer beschäftigen. Das Spektrum reicht von wissenschaftlich ambitionierten Darstellungen bis hin zu revisionistischen Rechtfertigungsversuchen, die den US-amerikanischen Opfern selbst die Schuld für die Erschießungen zusprechen.

Aufgrund des diskussionswürdigen Forschungsstandes und den oftmals monoperspektivischen Darstellungen war eine grundlegende Aufarbeitung des Ablaufs der Ereignisse am 17. Dezember 1944 notwendig. Zu diesem Zweck wurde neben der vergleichenden Auswertung von Darstellungen und publizierten Zeitzeugenberichten – schriftliche Primärquellen zu den Erschießungen liegen nicht vor – eine Ortsbegehung unternommen, im Zuge derer auch das Historical Center Baugnez 44 besichtigt wurde, ein privatwirtschaftlich motiviertes Museum, das heute am Standort der Erschießungen gelegen ist. Im Anschluss an die Rekonstruktion der Geschehnisse begann die Ausarbeitung spezifischer Fragestellungen zum Ereignis. Zum einen sollten die Gruppen der Täter und Opfer untersucht werden. Es waren über hundert Personen auf beiden Seiten direkt an dem Ereignis beteiligt, die bisherige Diskussion kreiste jedoch fast ausschließlich um die verantwortlichen SS-Führer. Die methodischen Grundlagen für diese Untersuchung sollten biografische Daten zu möglichst vielen Tätern und Opfern bilden, um beide Gruppen in Hinblick auf ihre spezifischen Charakteristika als militärische Verbände und soziale Kollektive untersuchen zu können.

Im August 2009 besuchte die Projektgruppe in mehrtägigen Archivreisen die Dienststellen des Bundesarchivs in Koblenz und Berlin-Lichterfelde, sowie die Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht (WASt) in Berlin und erlangte Einblicke in personenbezogene Akten und Wehrstammbücher einiger am „Malmedy-Massaker“ beteiligter deutscher Soldaten. Zudem wurden biografische Daten der amerikanischen Soldaten aus den National Archives der USA gewonnen, mit deren Hilfe auch eine Untersuchung des Sozialprofils der Opfer erfolgen konnte. Diese Unterlagen waren zur Analyse beider Gruppen von entscheidender Bedeutung, zumal sie in diesem Kontext bislang von der Forschung noch nicht zur Kenntnis genommen worden waren.

Nachdem die zur Verfügung stehenden Quellen neu ausgewertet und erste Strukturen für einzelne Darstellungen erarbeitet waren, organisierte die Gruppe Anfang Dezember 2009 einen Workshop mit dem Peiper-Biographen und Experten der Waffen-SS-Forschung Dr. Jens Westemeier. In diesem Rahmen stellten die vier studentischen Projektteilnehmer die Zwischenergebnisse ihrer Quellenauswertungen vor und die Projektgruppe unternahmeine zweite Forschungsexkursion zum Tatort in Baugnez und zur Vormarschroute Peipers. Zudem organisierten die Projektteilnehmer einen öffentlichen Vortrag ihres Gastes in Aachen.

Die letzte Projektphase war von der Quellenauswertung, dem Abgleich mit dem Forschungsstand, der Verschriftlichung der Arbeitsergebnisse und der Ausarbeitung der inhaltlichen Konzeption für ein Werkbuch geprägt, welches als Endergebnis der Forschungsarbeit publiziert werden sollte.

Den Rahmen des Bandes bilden Beiträge der Projektleiter, die sich mit der Geschichte der Waffen-SS im letzten Kriegsjahr und der Verortung des „Malmedy-Massakers“ in die Abläufe der Ardennen-Offensive beschäftigen.In zwei weiteren Beiträgen werden die Sozialstrukturen der Täter- bzw. der Opfergruppe auf Grundlage der überlieferten Personalunterlagen skizziert. Ziel dieses Vorgehens war es, Besonderheiten der Gruppen zu identifizieren und auf diese Weise herauszuarbeiten, wie es zum Kriegsverbrechen in Baugnez kommen konnte. Mithilfe der personenbezogenen Akten aus den Archiven in Berlin und Koblenz war zudem eine Längsschnittanalyse der Biografie eines beteiligten SS-Führers und eines SS-Mannschaftssoldaten möglich.

Die zwei letzten Beiträge des Werkbuches beleuchten weitere Aspekte zur Kontextualisierung des Verbrechens. Der erste Aufsatz beschäftigt sich mit der Einbettung der Malmedyer Ereignisse in das Spannungsfeld von Intention und Situation im Vergleich zu weiteren Kriegsverbrechen an der Westfront im Zweiten Weltkrieg. Ferner wird das Verbrechen in einem kriegsvölkerrechtlichen Kontext verortet. Des Weiteren gibt eine Analyse der zeitgenössischen Presse Einblick in die öffentliche Perzeption der Ereignisse des 17. Dezember 1944 und verortet diese in der deutsch-amerikanischen Nachkriegsgeschichte. 

Als Ergebnis des Projekts konnte im Sommer 2010 der 6. Band der Aachener Studien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte unter dem Titel Das „Massaker von Malmedy“: Täter, Opfer, Forschungsperspektiven im Shaker Verlag Aachen erscheinen (ISBN 978-3-8322-9241-6).

 

 

Erstveröffentlichung im Newsletter des AKM Nr. 36


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